„The way to get started is to quit talking and begin doing“
Jüngst hat unsere Konsumstimmung, in der wir fast alles fertig kaufen, Kaputtes wegwerfen und wieder neu kaufen, vielerorts Rückschläge erlitten. Es scheint, viele Menschen haben genug davon, ständig zu konsumieren. Dies belegt auch der „Do it yourself“- Trend, der nicht zuletzt durch die Pandemie befeuert wurde. Plötzlich haben wir (zumindest im Privaten) wieder gemerkt, was wir alles selbst können. Die 2023 erschienene „Einhell DIY Studie“ stellte z. B. bezüglich Heimwerken fest, dass für 70 Prozent der Menschen in Deutschland „Selbermachen Ehrensache ist“. Zu Hause sind wir alle Macher: Wir kochen, stricken, bewirtschaften Haus und Garten oder dekorieren mit unseren Kindern für Halloween und Weihnachten. Unsere Motive dabei? Unabhängigkeit, Selbstverwirklichung und Erholung.
Interessanterweise sind uns Dinge, die wir selbst gefertigt haben, oft mehr wert als das fertige Standardprodukt aus dem Regal. Dieses Phänomen beschreibt der sogenannte Betty-Crocker-Effekt. Die Legende besagt, dass sich in den 50er-Jahren die Betty-Crocker-Backmischung, der man nur Wasser hinzufügen musste, u. a. deshalb nicht mehr so gut verkaufte, weil die Hausfrauen sich ein bisschen wie „Betrügerinnen“ fühlten, wenn das Backen so einfach ging. Also entschied sich der Hersteller General Mills, dass man der Fertigmischung zusätzlich zum Wasser zu Hause auch noch ein Ei beigeben muss. Abgesehen von der Tatsache, dass frische Eier wohl schmackhaftere Kuchen machen, spielte Folgendes mit: Wenn etwas zu einfach geht, reduziert sich für uns gefühlt dessen Wert. Ähnlich veranschaulicht dies der sogenannte Ikea-Effekt, der einen Zuwachs an Wertschätzung gegenüber Dingen beschreibt, die wir komplett selbst entwerfen oder zusammenbauen. Im Konsumentenverhalten wird das Phänomen schon lange erforscht und genutzt. Zum Beispiel kann man zeigen, dass Kinder Speisen, die sie selbst mitgekocht haben, lieber essen.
Aber wie sieht das mit dem Selbermachen bei der Unternehmensinnovation aus? Hier scheinen wir doch eher die Planer und Forscher als die Macher zu sein. Aktuelle Headline vom BDI, nachdem der neue Innovationsindikator publiziert wurde: „Deutschlands Innovationsfähigkeit erodiert weiter“. Deutschland musste in der Studie im Vergleich zum Vorjahr weitere zwei Plätze im Ranking einbüssen. Einer der Gründe: Deutschland ist stark in Forschung und Entwicklung – aber relativ schwach in der Umsetzung. Meine Mutmassung: Wir starten
zu spät mit der Umsetzung und verlieren damit die Nähe zum Problem. Es ist oft einfacher, weiter zu analysieren, zu forschen und am theoretischen Perfektionismus einer Lösung zu arbeiten. Schliesslich konfrontiert ihre Umsetzung die Idee mit Kritikern und uns mit der Wahrheit bezüglich ihrer Güte.
Es gibt Länder, da ist das anders. Indien steht z. B. mit seiner „Jugaad“-Mentalität an der Spitze derjenigen Nationen, die eine „Hands-on“-Kreation auch in Firmen verinnerlichen. Man versucht, Herausforderungen innovativ zu lösen, tendenziell ohne, dass gleich aufwendige Ressourcen verbraucht werden. Es geht darum, einfallsreiche und clevere Lösungen zu entwickeln, die durchaus auch improvisiert sein können. Ganz im Sinne von „einfach mal machen“. Diese Einstellung hat sicher viel damit zu tun, dass Indien eine hohe kulturelle und ökonomische Diversität und daher keine Historie von „Standardlösungen“ aufweist. Die Menschen sind es gewohnt, einzigartige und personalisierte Produkte zu entwickeln, die auf eine spezifische Problemstellung angepasst sind. Viele Inder
sind also „Maker“. Sie verwandeln eine Idee schnell in etwas Greifbares. In unseren Unternehmen ist das Selbermachen erfahrungsgemäss weit weniger Usus als in Indien. Und das, trotzdem sich auch bei uns über die letzten Jahrzehnte das sogenannte „Maker Movement“ entwickelt hat.
Eine Macher-Bewegung, die sich von reinem Handwerk durch die folgenden drei Elemente unterscheidet [Browder et. al. 2019]:
1. Die verstärkte Schaffung und gemeinsame Nutzung von Wissen in physischen oder virtuellen Räumen (oft sogenannte Maker Spaces genannt). Auch in der Schweiz existieren inzwischen zahlreiche offene Werkstätten, in denen jeder, der will, an Projekten basteln kann (z. B. das FabLab in Zürich oder der MakerSpace EXPLORiT in Yverdon-les-Bains). Egal, ob man eine Drohne oder einen Hightech-Toaster, der einem das Brötchen via App an den perfekten Knuspergrad anpasst, bauen möchte.
2. Ein hohes Mass an sozialem Austausch und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren. Nebst Equipment bieten die Maker Spaces den Zugang zu einer kreativen Community. Diese ist sehr nützlich, wenn man eigene Lösungen objektiv diskutieren, bewerten oder weiterentwickeln möchte. Schliesslich muss bei allem Wert einer eigens kreierten Lösung (siehe Ikea-Effekt) immer das ursprünglich zu lösende Problem im Fokus bleiben.
3. Die Produktion materieller Artefakte unter Verwendung breit verfügbarer technischer Ressourcen. Technologien wie 3-D-Druck und die KI sind echte Gamechanger. Während früher ein langwieriger Lernprozess nötig war, um eine perfekte Bauanleitung oder ein passendes Design zu erstellen, kann man damit heute auch ausgeklügelte Projekte selbst planen. Ganz gleich, ob es um die Modellierung eines komplexen 3-D-Objekts oder das Entwerfen von Schaltplänen geht – KI-gestützte Tools wie CAD-Software mit generativer AI nehmen einen Grossteil der komplizierten Vorarbeit ab. Mit ein wenig Anleitung können auch Einsteiger schnell loslegen.
Würden sich unsere Unternehmen etwas mehr am „Maker Movement“ orientierten, könnten sie viel einfacher in die Umsetzung kommen. Der Appell an unsere Führungskräfte und Mitarbeiter muss also lauten: Legt auch mal selbst Hand an! Vielleicht lohnt sich ein „Maker“-Ausflug mit der Belegschaft als Ergänzung zu formalen Innovationsprozessen. Die Faszination, etwas Eigenes zu schaffen, das Gefühl, zu basteln und ein Projekt zum Leben zu erwecken – das ist unbezahlbar. Und selbst wenn das Resultat nicht perfekt ist, so lernt man unterwegs doch so einiges: kreativ denken, Probleme lösen und durch eine frühzeitige Realisation Verbesserungspotenziale erkennen. Kein Unternehmen, keine Volkswirtschaft kann sich heute mehr leisten, nur aus der Theorie heraus zu arbeiten. Entrepreneurship und Innovationserfolg leben vom Tun.
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